Die Regierung streicht den Lohnersatz bei Quarantäne für Ungeimpfte. Und bestraft damit die Ärmsten am härtesten. Sozialer wäre eine Impfprämie – und vielleicht sogar erfolgreicher. Ein Kommentar.
Jetzt also die Streichung der Lohnfortzahlung bei Quarantäne: Nach dem unlängst beschlossenen Ende von kostenlosen Corona-Tests die nächste Entscheidung von Bund und Ländern (lediglich Bremen und Thüringen haben sich enthalten), die zeigt: Deutschland setzt bei der Pandemie-Bekämpfung auf immer härteren Druck und immer strengere Bestrafung. Und schreckt dabei nicht davor zurück, die Ärmsten am härtesten zu treffen. Denn bei Menschen und Familien, die auf jeden Euro schauen müssen – und das sind immerhin ein Fünftel der Menschen in Deutschland – dürfte eine mindestens fünftägige Quarantäne, also der Wegfall von einem Viertel des Monatslohns eine mittelschwere Krise auslösen. Reicht das Geld für die Miete dann noch? Kann der letzte Wocheneinkauf noch bezahlt werden? Die Winterklamotten für die Kinder?
Die Entscheidung ist auch ein Tabubruch: Denn die Lohnfortzahlung war bisher nicht an die Lebensführung der Menschen gebunden. Ob jemand gegen Krankheiten oder die saisonale Grippe geimpft ist, ob jemand raucht, sehr viel trinkt oder zu ungesund isst, ob jemand Risiken eher scheut oder angeschwippst auf Skiern Hänge hinunterjagt – es war, es ist egal. Und das war und ist richtig, denn das nennen wir Freiheit. Ja, die Lohnersatzzahlung bei Quarantäne zahlt der Staat und nicht Arbeitgeber oder Krankenkasse. Und doch folgte sie dem gleichen Prinzip wie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall – aus gutem Grund.
Kommt nun das große Verschweigen?
Lassen wir einmal beiseite, inwiefern Impfgegner und Querdenker sich damit bestätigt sehen und weiter vom “Impfzwang durch die Hintertür” faseln. Es bleibt dennoch fraglich, wie sinnvoll die Maßnahme ist. Werden sich Menschen, die sich bisher nicht impfen ließen, weil sie nicht damit rechneten, an Covid-19 zu erkranken, das nun nachholen, weil sie damit rechnen, in Quarantäne zu müssen? Und wird die Zahl dieser Menschen die Zahl derjenigen übersteigen, die nun, im Wissen, dass sie keinen Lohnersatz bekommen würden, lieber verschweigen, dass sie eigentlich in Quarantäne müssten?
Anreize statt Drohungen
Es ist mittlerweile common sense im Politikbetrieb, dass ein sanfter Schubser in die gewünschte Richtung schlauer ist und besser wirkt als Verbote und Strafen. Nudging heißt das Zauberwort. Auch die deutsche Politik betreibt Nudging, ziemlich deutlich sogar, wenn sie zum Beispiel den Kauf eines Elektro-Neuwagens mit bis zu 6.000 Euro fördert. Die Frage ist: Warum wenden wir das Erfolgsmodell sanfter Schubser nicht auch da an, wo wir derzeit am dringendsten Erfolge brauchen?
Ähnlich wie beim Autokauf könnte man jedem und jeder Ungeimpften für eine Impfung Geld geben, etwa 500 Euro. Ein Vorschlag, den ich zum ersten Mal im Gespräch mit dem Klassismus-Experten Andreas Kemper gehört habe, den aber auch mehrere Wissenschaftler bereits gemacht haben. 500 Euro könnten all die Zaudernden und Zögernden am Ende doch noch überzeugen. Sie wären eine satte Aufwandsentschädigung für alle, die es zwischen Job und Familie bisher einfach nicht hinbekommen haben, einen Termin auszumachen und sich die Zeit für die Impfung freizuschaufeln. Und sie wären auch ein fettes Danke für all die Strapazen, die vor allem ärmere Menschen, die eher selten im Home Office arbeiten können, im Kampf gegen die Pandemie bisher auf sich genommen haben.
Gut angelegtes Geld
Wer es nicht aushält, dass Menschen, die sich erst jetzt impfen lassen, Geld bekommen, und bereits Geimpfte so gewissermaßen leer ausgehen würden, – der oder die sollten ihren Abgeordneten möglichst empört schreiben, die 500 Euro doch bitte auch an die bereits Geimpften auszuzahlen. Auch dieser Vorschlag steht im Raum. Bei einer angepeilten Impfquote von 85 Prozent würden knapp über 70 Millionen Menschen Geld bekommen – bei 500 Euro wären das insgesamt 35 Mrd. Euro. Und damit nur ein Bruchteil dessen, was Deutschland bisher wegen der Pandemie ausgegeben hat. Es wäre vielleicht auch nicht wesentlich mehr als das, was ein erneuter Lockdown das Land kosten würde. Nicht zuletzt würde es die Wirtschaft beleben, denn die 500 Euro würden nicht bei Autokonzernen oder Fluggesellschaften, sondern bei den Menschen ankommen, von denen viele – gerade die Pandemie-Gebeutelten – das Geld sicher schnell wieder ausgeben werden. Es wäre sozial kompensatorisch statt sozialdarwinistisch. Und stünde einem reichen Land wie Deutschland weit besser, als ärmere Menschen ein weiteres Mal zu bestrafen.
Dieser Artikel erschien zuerst am 22.09.2021 auf der BR Kulturbühne, die Ende 2022 eingestellt wurde.
Leave a Reply