Teure Wohnungen, teure Ateliers, kaum Proberäume und Werkstätten: Wer Kunst macht, hat es schwer in München. Die Initiative “Freiräumen” fordert jetzt mehr Orte für Kreative. Mit-Initiator Joshua Neumann kann sich auch Enteignungen vorstellen.
“Gabriele”, “5000 Zimmer, Küche Bad”, “Z Common Ground”: Alles Münchner Zwischennutzungen, in denen Künstler, Musikerinnen, Performer Ideen entwicklen, experimentieren und zeigen konnten, Partys feiern konnten und in denen Menschen zusammenkamen – und die es längst nicht mehr gibt. Langfristig bestehende Orte für diese Subkulturen gibt es nur wenige in München – und die wenigen, die es gibt, sind oft in ihrer Existenz bedroht. Darauf macht nun die Initiative “Freiräumen” aufmerksam: Mehrere Kunstaktionen sollen am Samstag, 5. Juni auf die Wohn- und Arbeitsraumnot von jungen Künstlern und Künstlerinnen hinweisen. Hardy Funk hat mit dem Mitorganisator Joshua Neumann (24) darüber gesprochen, warum Zwischennutzungen nicht ausreichen, wo die Stadt mehr tun sollte – und wann sogar Enteignungen angebracht wären.
Hardy Funk: Gerade ist in München ein Plattenladen – Riviera Records – und das nichtkommerzielle Internet-Radio “Radio 80000” in ein städtisches Gebäude im Rosental in der Nähe vom Stadtmuseum eingezogen. Ihr fordert mehr Freiräume für München – sind das nicht Freiräume?
Joshua Neumann: Das sind auf jeden Fall auf ihre Art Freiräume. Das ist für uns aber tatsächlich das erste Mal, dass jetzt wirklich in städtischen Immobilien freie, unkommerzielle Kollektive oder Projekte einziehen können. Das sollte eher die Norm sein als das hervorgehobene Beispiel.
Ihr sprecht von Freiräumen – wie sieht so ein Freiraum aus, was wäre eine ideale Vorstellung?
Ein wichtiges Anliegen ist, Interdisziplinarität auszuleben, also aus verschiedenen Kunstsparten zusammenzukommen, die sich auch gegenseitig bedingen und bereichern und auf der anderen Seite auch füreinander da zu sein. Also auf ein gemeinsames Miteinander zu achten, für Diversität einzustehen, für Inklusion und im weiteren Schritt auch gegen Diskriminierung.
Wie wichtig ist es, dass es keine hohen Mieten gibt und dort nicht-kommerzielle Projekte einziehen können?
Das ist eine der Forderungen des Aufrufs. Wir denken, dass das für Menschen auch in prekäreren Situationen Lösungen schaffen kann und auch in verschiedenen Vierteln den Zugang nachhaltig stärken kann im Vergleich zu jemandem, der sich vielleicht Sponsoring oder gewisse finanzielle Investoren ins Boot holen muss. Wenn wir da quasi die Hemmschwelle senken können, haben wir mehr Möglichkeiten, niederschwellig Experimente oder neue Projekte durchzuführen, die eventuell eine ganz andere Wirkung auf die Viertel, auf die Stadt oder auch überregional haben.
Viele Projekte in München finden und fanden die letzten Jahre in Zwischennutzungen statt – warum reicht das nicht als Freiraum?
Es ist eine gute Ergänzung, aber es braucht eine Verstetigung. Der organisatorische Aufwand, der da einhergeht mit Umzügen, mit der Logistik, mit Genehmigungsprozessen in einem sehr schweren bayerischen Baurecht … Eine Forderung ist, da zu versuchen, neue Wege zu finden – in anderen Ländern und Städten gibt es Zwischennutzungsverträge, die das viel, viel einfacher gestalten. In München ist es bisher so, dass man Gebäude quasi so herrichten muss als wären sie für Jahre tauglich, selbst wenn man nur zwei bis drei Monate drin ist. Natürlich muss eine Verkehrssicherung etc. gewährleistet sein. Aber das Gebäude gleich sanieren zu müssen, auch wenn die Stadt eine Zwischennutzung selbst ausschreibt oder hergeben will – das fühlt sich für uns leicht zu hoch gegriffen an dafür, dass man Gebäude mit vergleichsweise wenig Aufwand aktivieren kann und auch genehmigt bekommt als selbst organisierte Initiative.
Wie schaut das dann konkret aus? Hast du ein Beispiel von so einer Zwischennutzung und kannst mal anschaulich machen, was da an Arbeit und Geld und Risiko reingesteckt wird?
Die zwei letzten Projekte, bei denen ich dabei war, sind einmal die “Gabriele”. Das war eine 3.000 bis 4.000 Quadratmeter Zwischennutzungen in Neuhausen. Da hatten wir 150 bis 200 Künstlerinnen über einen Zeitraum von einem halben Jahr in einer Mischung aus Kollektivräumen, Einzelateliers, Gemeinschaftsräumen. Es war ein Judoclub, ein Chor dabei, es gab Workshops, Skill Sharing sowohl intern als auch extern. Das Ganze wurde hauptsächlich über Plena einmal in der Woche geregelt, wo sich Delegierte der jeweiligen Gruppen abgesprochen haben, was wichtige Anliegen des Hauses waren.
Und davor gab es bei uns das “5.000 Zimmer, Küche, Bad”, wo wir eher nach gewissen Themen gehandelt haben. Wir hatten Interesse, Kunst und Kultur zu zeigen, in vielen Variationen interdisziplinär, und haben dort dann ein Budget von der Baufirma bekommen – was einerseits kritisch betrachtet werden kann – aber eine Finanzierung ist eben auch essenziell. Und dann haben wir Künstlerinnen ihre Räume selbst gestalten lassen. Da hatten wir dann über ein Wochenende 2.500 Gäste mit zwei Bühnen, 50 Künstler*innen, von einem Friseur, der gegen eine Spende Haare geschnitten hat, über Filmscreenings und einen Flummi-Raum, wo man einfach nur Flummis werfen konnte, bis hin zu einem Party-Rave-Bunker. Also alles, was man sich irgendwie vorstellen kann und will. Eine Utopie.
Du hast vorhin von anderen Städten gesprochen, die es besser machen – welche Städte wären ein gutes Beispiel?
Zürich hat ein gutes Modell für freie Flächen, die Jugendlichen zugänglich gemacht werden. Auch eine Raumbörse. Da gibt es circa 70 Hallen oder verschiedene Gebäude und Angebote, die man kostenfrei mieten kann, wenn man unter 30 ist Und mit über 30 auch anfragen kann, wenn es um soziokulturelle Anliegen geht, für eine wesentlich geringere Summe als normal. So etwas wäre ein guter Vorstoß auch in Ergänzung zu dem Kompetenzteam Kultur- und Kreativwirtschaft hier in München, was sich teils nicht so ganz zuständig fühlt für das Thema.
Gibt es denn ein positives Beispiel, wo du sagen würdest: Hier ist langfristig etwas entstanden, was wir als Freiraum verstehen, so kann das laufen?
Es gibt zwei sehr gute Beispiele im deutschen Raum: Das Haus der Statistik in Berlin. Die haben auch einen interdisziplinären Anspruch, diesen Raum zu bespielen und dürfen ihn mit für die Zukunft entwickeln. Da entstehen gerade sowohl Wohngebiete als auch Kunst und Kultur, als auch Schule. Also alles, was man sich irgendwie in einem modernen Quartier vorstellen will ineinander verwoben. Und sie haben zuletzt wieder Förderungen erhalten, erstaunlicherweise von Seehofer, von seinem Bauministerium, in Höhe von 3 Millionen, um das über vier, fünf Jahre als Pilotprojekt weiterzuführen.
Ein zweites Beispiel wäre das Gängeviertel in Hamburg, was jetzt eine Verstetigung erreicht hat mit einem 80-jährigen Pachtvertrag. Das war auch erstmal ein Kunstprojekt mit Scheinbesetzungen und am Ende haben sie es dann erwerben können und eine gute Struktur geschaffen, wo von Atelierhäusern über Wohnraum, über Residency Spaces, über Sommerfeste auch Raves, Kultur, Kunst in jeglicher Form verfügbar ist und mit der Stadt zusammen erarbeitet und auch gefördert wird.
Und in München gibt es kein positives Beispiel?
Bisher in der Langfristigkeit eher nur Wohnprojekte. Wenn wir uns die Ligsalz 8 anschauen zum Beispiel: Das ist ein Mietshaus-Syndikat, das es jetzt geschafft hat in die Verstetigung zu kommen. Das würde ich auch in der Kombi mit der politischen Arbeit und den Zielen, die sie im Gesamten verfolgen, als ein gutes Beispiel bewerten.
Es geht den an “Freiräumen” beteiligten Kollektiven nicht nur um Freiräume, die sie selbst nutzen können für Kunst und Partys und Arbeit – ihr schlagt auch einen Bogen zur Stadtgesellschaft als Ganzes und was es für eine Stadt bedeutet, keine bezahlbaren Wohn- und Arbeitsräume für Kreative zu bieten.
Die Verdrängung ist ein riesiges Thema. Ich kann persönlich jetzt nur für die Jugend sprechen in unseren Umfeldern: Es ist einfach klar, dass gefühlt mehr als die Hälfte wegzieht. Durch den hohen Wohnungsdruck kann jemand, der einfach nur studieren will, sich aber trotzdem eine halbwegs okaye Wohnung leisten will, das hier nicht tragen. Dementsprechend gehen viele Menschen mit viel Potenzial verloren, was sehr schade ist für eine Stadtgesellschaft. Und da reden wir nur von Studierenden. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie das dann im Endeffekt bei Arbeitenden ist. Hier muss was passieren, es braucht einfach für alle in diesen Kontexten mehr Wohnraum und allgemein mehr Freiflächen, die selbst angeeignet organisiert werden.
Ihr macht der Stadtverwaltung den Vorwurf, dass sie sich nicht für Freiräume einsetzt und entsprechende Projekte nicht unterstützt. Wo zeigt sich diese mangelnde Unterstützung, hast du da ein Beispiel?
Ein interessantes Beispiel ist die leerstehende Branntwein-Fabrik am Leuchtenbergring. Das ist ein Gelände, was zwar gerade in einem Insolvenzverfahren steht und schwebt, aber prinzipiell fünf leerstehende Hallen und circa 4.000 Quadratmeter Freifläche bietet, welche durch diese Insolvenz in Verwaltung der Bundesimmobilien sind. Und sowohl die Stadt als auch der Freistaat machen seit Jahren Bietergefechte um diese Fläche – währenddessen sie leer steht. Da geht’s los, also das ist der erste Punkt.
Dann aber, der zweite, wird ein Entwicklungsplan gemacht, wo im Endeffekt ein oder zwei Schulen gebaut werden sollen und ein Verwaltungsgebäude. Was persönlich schonmal ganz interessant ist: Da postindustrielle Hallen platt zu machen, die wenigen letzten in dieser Stadt, statt sie irgendwie interdisziplinär zu nutzen oder zugänglich zu machen für eine Stadtgesellschaft. Da hat die Stadt über die Jahre nie wirklich einen Plan entwickelt. Jetzt scheint sich zwar abzuzeichnen, dass es eventuell für Kunst und Kultur aktiviert wird, was aber eben auch wieder den Druck brauchte, den wir gerade anbringen. Und das transparent zu machen – weil das ist nicht die einzige Fläche – ist sehr, sehr wichtig und da auch in den Dialog zu gehen miteinander.
Mit mehr Transparenz meinst du, dass die Stadt zeigen sollte, wo Flächen und Leerstände sind?
Absolut, also Leerstandskataster, wem was wie gehört. Teils gibt es bei dubiosen Immobilienfirmen absichtlich Prozesse, wie sie ihre Firmenstrukturen verschleiern oder halt absichtlich einfach ihre Gebäude oder Gelände nicht ummelden, bis auf einmal ein Bauantrag steht, um das so weit wie möglich rauszuziehen, dass da keine Verantwortung gefunden und adressiert werden kann. Das ist ein Zustand, den wir nicht tragbar finden.
Und was würdet ihr euch außer Transparenz von der Stadt wünschen?
Personelle und finanzielle Unterstützung. Und dann das größte Thema: Die rechtlichen Rahmenbedingungen. Da muss angesetzt werden, weil sonst die Verwaltung selbst einfach nicht die Spielräume hat, Dinge durchzuführen. Aber das ist natürlich nicht nur der Stadt überlassen, sondern das richtet sich dann auch an den Staat.
Eine Forderung ist sogar die Enteignung von Immobilien.
Auf jeden Fall. Das ist einfach dem Zustand geschuldet, dass wir mehrere Gebäude im Stadtbild kennen, die wirklich seit fünf bis zehn Jahren leer stehen. Es ist einfach abstrus, was da für Geschichten passieren. Da wird eine Nutzung, die ja auch für das Viertel sinnvoll wäre, einfach großflächige leere Räume, die auch zentral mit guter Anbindung liegen, zumindest für die Zeit, die gebaut wird, komplett abgeschmettert. Es gibt keine Möglichkeit, überhaupt in den Kontakt zu treten – abgesehen von den finanziellen Zielen oder auch Steuerhinterziehung oder was noch dahinterstecken kann.
Du hast das Kompetenzteam Kultur- und Kreativwirtschaft der Stadt München genannt, das sich um Zwischennutzungen und Freiräume kümmert – das zum Beispiel gerade temporäre Büros, Werkstätten und Ateliers in Containern im Kreativquartier hingestellt hat, das im “Ruffinihaus” am Rindermarkt Büros anbietet oder wie gesagt zuletzt im rückwärtigen Teil des Stadtmuseums zwei Ladenflächen angeboten hat, in einer ist jetzt Radio 80000 – ist das einfach nicht genug an Freiräumen oder machen die grundlegend etwas falsch?
Beim Kultur-und-Kreativwirtschaft-Team ist es eher so, dass die Ressourcen nicht reichen. Sie bräuchten einfach mehr Personal. Dazu kommt: Sie fühlen sich nicht für Soziokultur in dem Sinne zuständig, es geht ihnen um Kreativwirtschaft. Da haben wir einen Riesen-Clash, weil momentan die Verwaltung sehr, sehr viel in Kontakt mit ihnen steht, auch für soziokulturelle Zwischennutzungen. Aber am Ende ist ihr Auftrag eher, wie du schon gesagt hast, vielleicht Ladenflächen oder ähnliches zu vermieten oder zu aktivieren – wo niederschwellige, konsumfreie Projekte oder Räume eben keinen Platz finden werden.
Auf all das wollt ihr am Samstag aufmerksam machen mit verschiedenen Aktionen. Was habt ihr für den Aktionstag am Samstag geplant?
Es sind mehr als fünf Aktionen geplant in verschiedenen Stadtvierteln, um das während Corona alles ein bisschen zu entzerren, dass nicht zu viele Leute auf gewissen Flächen sich sammeln. Von 12 Uhr bis circa 22 Uhr wird es komplett Programm geben. Das sind musikalische Darbietung. Das sind Performances, Poetry Slams, Freestyles, bewegte Reden von Orten der Subkultur hier. Es sind Rave-Kollektive dabei, es sind interdisziplinäre Kunstkollektive dabei.
Ihr plant auch einen jährlichen Freiraumkongress, um in einen Austausch zu kommen – wer soll da beteiligt sein und gibt es da schon ein Datum?
Wir haben im ersten Jahr das Ziel, uns hier in München zu vernetzen. Also wir rechnen mit 200 bis 300 Personen und wollen angelehnt an Projekte wie den Chaos Computer Club Kongress für Technik so eine ähnliche Struktur zum Thema Freiraum in München schaffen, die sich selbst organisiert trägt und sich im Idealfall in Leerständen oder Zwischennutzungen realisieren lässt. Das Datum steht noch nicht fest, es wird aber im Herbst stattfinden Richtung September, Oktober.
Dieses Interview erschien zuerst am 02.06.2021 auf der BR Kulturbühne, die Ende 2022 eingestellt wurde.
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