Werden wir alle zu Cyborgs, leben wir unendlich in der Cloud weiter – oder finden wir eine andere, neue Definition des Menschen? Das multimediale Stück “Introduction to the Future Self” von Flo Kreier an den Münchner Kammerspielen bewegt sich in einer postapokalyptischen Zukunft – und stellt Fragen, die schon heute wichtig sind.
Gleich zu Beginn wird klar, dass man hier in keinem gewöhnlichen Theaterstück sitzt: Keine Schauspieler, keine Kulisse – nur eine Stimme aus dem Off, die eine Geschichte erzählt. Dazu computeranimierte Video-Bilder auf einer Leinwand. Bilder von einer anderen Welt, in der der Himmel purpur, die Berge orange und die Wälder lila sind. Aus einfachsten geometrischen Formen entsteht diese Welt zu Beginn, wie die Landschaft eines Open World Computerspiels wirkt sie, nur auffallend leer. Ein einsamer nackter Avatar streift durch diese verlassene Szenerie, kein Tier weit und breit, nur äußerst selten Artefakte, die auf eine untergegangene Kultur schließen lassen.
Dazu im Wechsel mit den Erzähl-Teilen warme, Trost spendende Folk-Songs, live gespielt von Angela Aux II, der posthumanen Version des Münchner Musikers Flo Kreier alias Angela Aux – im purpur glitzernden Kleid und Oversize Jacke und mit Echsenmaske auf dem Kopf. Erst allein nur mit Gitarre, dann mit Band, zarte, auf das Wesentliche reduzierte Songs, später Lieder, die mit Bass, Drum Pad und Schlagzeug die gleiche Initmität erzeugen. Es ist der ewig gültige Lagerfeuer-Moment.
Eine Welt ohne Menschen
Wir befinden uns in einer Welt nach der Apokalypse. Eine Gruppe zusammengewürfelter Überlebender zieht durch die verlassene Gegend. Wer hier was genau macht, ist nur schwer festzustellen. Nur mit höchster Konzentration kann man der mit monotoner Stimme und ohne Pausen vorgetragenen dialogarmen Handlung folgen. “Introduction to the Future Self” erzählt eine Science-Fiction-Geschichte und verhandelt dabei philosophische Fragen über ein Leben und eine Zeit nach dem Menschen. Fragen, die sehr fern wirken mögen, die sich aber schon jetzt bei unserem Umgang mit Natur und Technik stellen. Auf die Beine gestellt hat es das “Schwarm-Kollektiv” um Flo Kreier. Teil des Kollektivs sind unter anderem die Video-Künstlerin Su Steinmassl und der Programmierer und Designer Max Heitsch.
Posthumanismus und Transhumanismus heißen die Strömungen, die über das “nach” und “darüber hinaus” des Menschen nachdenken. Sie reichen von Silicon-Valley-Phantasien über ein ewiges Leben in der Cloud bis zu ökofeministischen Theorien über einen Menschen, der im Einklang mit Flora und Fauna lebt. Erstere sind für Flo Kreier “so etwas wie die Fortführung der imperialistischen Logik in den Menschen hinein. Also die letztendliche Erschließung des Menschen als zu optimierende Region. Da sollen Probleme behoben werden, um Menschen die Unsterblichkeit zu ermöglichen.” Vielversprechender sieht er die andere Vision, denn “da geht es darum: Wie können wir Existenz weiter fassen? Wie können wir politischen Einfluss weiter fassen? Wie können wir den Wesensbegriff, den Spezies-Begriff weiter fassen?” Die Ideen reichen von einem “Parlament der Dinge”, in neben Tieren sogar Flüsse und Wälder vertreten sind bis hin zu einer neuen Ethik von Beziehungen zwischen Mensch, Tier und Umwelt.
Positive Visionen statt Fatalismus
Das ist viel für ein Theaterstück. Und so schaltet man am besten in einen assoziativen Modus, schnappt hier und da einzelne Sätze auf, um sie in Gedanken hin und her zu wenden. Sprachfetzen über eine untergegangene Menschheit, die zu sehr auf Technik und Logik gesetzt hatte. Die alles beherrschen wollte und am Ende alles verlor, auch sich selbst. Und deren entfernte Nachkommen, Cyborgs und Klone nun einen Neustart wagen. Einen Neustart mit einem umsichtigeren, weiseren Menschen nach dem Menschen.
Trotz aller lauernden apokalyptischen Gefahren will “Introduction to the Future Self” offene Fragen stellen, nicht in Kulturpessimismus und Fatalismus abdriften. “Wir sprechen immer nur über Bedrohungen”, sagt Flo Kreier. “Wir sprechen nicht über Utopien. Ja, hallo?! Wir müssen doch wissen, wo wir hinwollen! Wir können nicht nur wissen, wovor wir weglaufen sollen. Das ist die Grundmotivation hinter diesem Projekt, dass man sich mit der Kunst und der Phantasie auf diese Sachen konzentriert und sagt: Lasst uns mal eine positive Vision formulieren.”
Dieser Artikel erschien zuerst am 08.12.2021 auf der BR Kulturbühne, die Ende 2022 eingestellt wurde.
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