Wann sagen Sie “Klimakrise”, Frau Miosga?

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Klimawandel oder Klimakrise? Präsident oder Machthaber? Oft bestimmen schon einzelne Worte, wie wir die Welt sehen. Tagesthemen-Moderatorin Caren Miosga erzählt im Interview, wann sie welche Worte nutzt – und was sie bei einem Gute-Kita-Gesetz macht.

Als Moderatorin der Tagesthemen spricht Caren Miosga jeden Tag zu über zwei Millionen Menschen. Und prägt dabei auch unsere Sicht auf die Welt zu großen Teilen mit. Schon einzelne Worte können einen großen Unterschied machen, denn oft lenken Begriffe unsere Wahrnehmung in eine bestimmte Richtung. Worte aktivieren sogenannte Frames, Deutungsrahmen, die uns helfen, abstrakte Vorgänge zu begreifen und einzuordnen. Hardy Funk hat mit Caren Miosga darüber gesprochen, wie bewusst die Tagesthemen mit heiklen Begriffen umgehen, wie man PR-Gesetzesnamen wie dem Gute-Kita-Gesetz nicht auf den Leim geht – und wie es Journalisten und Journalistinnen überhaupt vermeiden können, ungewolltes Framing zu betreiben.

Hardy Funk: Frau Miosga, der Guardian hat vor einiger Zeit beschlossenen, statt wie bisher “Klimawandel” fortan von “Klimakrise” zu sprechen und von “Erderhitzung” statt “Erderwärmung”. Wann wäre für die Tagesthemen der Punkt erreicht, wo sie diese Worte ebenfalls überdenken?

Caren Miosga: Ich habe auch schon “Klimakrise” und “Erderhitzung” gesagt. Aber wir haben da noch keine neue Definition getroffen in dem Sinne, dass wir gesagt haben, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, von dem an wir nur noch von “Krise” sprechen. Ich glaube, das liegt ein bisschen daran, dass “Klimawandel” zu unserem täglichen Wortschatz gehört und die Wissenschaft ja auch von “Wandel” und “Erderwärmung” spricht. Wir haben in der Redaktion darüber geredet, denn wir haben natürlich auch zur Kenntnis genommen, dass der Guardian jetzt so verfährt. Und ich bin der Meinung, dass es richtig ist, immer mal wieder von “Klimakrise” zu sprechen. Denn es ist natürlich ein klarer Ausdruck dessen, dass sich die Lage verschärft hat und dass man sie ernster nehmen muss.

Wie gehen die Tagesthemen generell mit heiklen Begriffen um? Gibt es eine Art Leitfaden für Sprache oder ist das dem Sprachbewusstsein der Moderatoren und Moderatorinnen überlassen?

Zunächst einmal: Wer moderiert oder spricht, hat natürlich immer ein eigenes Bewusstsein für Sprache. Aber wir haben darüber hinaus auch eine Art Leitfaden bei ARD Aktuell für Sprache, für die richtige Aussprache ausländischer Namen, für überflüssige Dopplungen, die sich immer wieder in Meldungen oder Moderationen einschleichen. Dieser Leitfaden wird immer wieder aktualisiert, und jeder kann da auch etwas reinschreiben und nachsehen. Und bei aktuellen Ereignissen informieren wir uns auch gegenseitig, wie etwas auszusprechen ist und was möglicherweise zu vermeiden ist.

Sind dort auch bestimmte Begriffe definiert? Etwa: Was ist ein Staatschef? Was ist ein Autokrat? Was ist ein Machthaber, was ein Diktator?

So etwas ist auch definiert. Und wenn wir aktuelle Ereignisse haben, dann wird der Leitfaden auch wieder aktualisiert, indem E-Mails rumgeschickt werden: Bitte erinnert euch, dass wir in dem Fall dieses oder jenes Wort benutzen. Bei Staats- und Regierungschef gibt es eine klare Definition. Aber es gibt auch Graubereiche wie bei den Worten “Autokrat” oder “Machthaber”. Da unterstellt man natürlich immer Illegitimität der Funktion und deswegen muss man es abwägen: Sagt man “Präsident Assad” zu dem syrischen Präsidenten, oder sagt man “Machthaber Assad” oder “Autokrat Assad”? Das ist in den Nuancen natürlich ein inhaltlicher Unterschied. Wenn ich “Machthaber Assad” sage, dann schwingt dabei mit – und dann möchte ich auch, dass dabei mitschwingt – , dass der Mann nicht auf komplett demokratisch legitimierten Wege gewählt worden ist. Wenn ich möchte, dass das dabei herauskommt, wähle ich dieses Wort.

Sie haben schon erwähnt, dass Sie Begrifflichkeiten auch aktualisieren. Eine Sache, die sich in den Tagesthemen geändert hat: Irgendwann war nur noch von der “Ehe für alle” die Rede – die davor immer “Homo Ehe” hieß. Können Sie sich noch an den Moment erinnern, als Sie das geändert haben?

Ich erinnere mich nicht daran. Ich erinnere mich nur, dass ich immer nur “Ehe für alle” gesagt habe. Wann war das denn, als man noch “Homo Ehe” gesagt hat?

Marcus Bornheim, der Chefredakteur von ARD-Aktuell, hat gegenüber Übermedien mal gesagt, dass das im Mai oder Juni 2017 gewesen sei. Da wäre “Ehe für alle” so im Sprachgebrauch drin gewesen, dass es auch für die Tagesschau und Tagesthemen okay gewesen sei, das zu übernehmen.

Okay, sehen Sie, das weiß ich zum Beispiel gar nicht mehr. Es ist ja auch ein viel neutralerer Begriff als “Homo Ehe”. Insofern hat es sich irgendwann so sehr in den Sprachgebrauch hineingeschlichen, dass Sie jetzt an meiner Reaktion sehen, dass ich gar nicht mehr wusste, wann wir da überhaupt einen Wechsel vorgenommen hatten.

Begriffe von Aktivisten sind ja das eine, ähnlich problematisch sind Begriffe von Politikern und Parteien. Wie gehen Sie mit Begriffen wie “Ankerzentrum” oder dem “Euro-Rettungsschirm” um? Die sind ja einerseits von Politikern gesetzt, andererseits bezeichnen sie auch konkrete Sachen, die halt so heißen…

Mit Begriffen, die Politiker einführen, sind wir grundsätzlich sensibel. “Ankerzentrum” ist ja eigentlich eine Abkürzung für “Zentrum für Ankunft, Entscheidung, Rückführung” – aber natürlich steckt da das Wort “Anker” drin, das wie “Hafen” klingt. Das ordne ich in den Moderationen – sofern ich die Zeit dafür habe – auch genau so ein. “Euro-Rettungsschirm” ist auch ein ganz gutes Beispiel dafür, wie schwer es ist, gegen euphemistische Begriffe anzugehen. Das ist ja ein sehr positiv besetzter Begriff, der suggeriert: “Wir retten euch!” Und gleichzeitig ist er natürlich sehr anschaulich. Und weil dieses ganze Procedere dahinter so hochkomplex ist und so schwer zu erklären, ist es Journalisten fast unmöglich, dafür ständig andere Begriffe zu benutzen oder es ständig zu erläutern. Insofern ist das ein gutes Beispiel dafür, wie sich Begriffe, die euphemistisch in Umlauf gebracht wurden, dann auch in den allgemeinen Sprachgebrauch einschleichen. Das ist schlicht ein eingeführter Begriff, den wir so benutzen, wohlwissend, dass er natürlich mal anders gestartet ist.

Genau darauf scheinen auch die neuen SPD-Gesetze wie das “Gute-Kita-Gesetz” oder auch das “Geordnete-Rückkehr-Gesetz” von Horst Seehofer abzuzielen. Wie kommt man dem bei?

Das sind ja auch Begriffe, von denen sich die Politiker wünschen, dass sie sich in den Sprachgebrauch einfleischen. Dass die Leute nur noch denken: Oh, wow, das ist ja dieses tolle “Gute-Kita-Gesetz” oder “Geordnete-Rückkehr-Gesetz”. Das muss man als Moderatorin nicht übernehmen. Und wenn ich das benutzt habe, habe ich immer einen Beisatz gehabt, und gesagt: Naja, oft ist es so, wenn es so schön klingt, ist es meistens viel komplizierter, als man denkt. Um es so häufig wie möglich zu entlarven.

Auch Donald Trump nutzt Sprache sehr bewusst und wohl auch äußerst effektiv. In der Diskussion um die Anschläge von El Paso und Dayton wurde deshalb auch Trump eine Mitschuld gegeben. Seine Worte hätten den Hass geschürt, der sich dann in den Anschlägen entlud. Wie gehen Sie mit Äußerungen wie denen von Trump um?

Bei Präsident Trump ist es ja fast so, dass es sich so sehr von alleine entlarvt, dass man es gar nicht mehr dechiffrieren muss als Journalist. Es ist ja für alle ersichtlich, dass er seine Sprache so klug einsetzt, dass sie sich fast verselbstständigt. Er hat auf diversen Wahlkampfveranstaltungen so schlecht und so rassistisch über Einwanderer gesprochen, dass die Antwort des Publikums war: Dann zieht jetzt Konsequenzen! Schickt sie wieder weg, erschießt sie doch! Und er hat das dann einfach so stehen gelassen, wohl wissend, was diese Worte anrichten. Hinterher zu sagen “meine Rhetorik führt die Leute zusammen”, entbehrte nicht einer gewissen Komik, wenn es nicht so zynisch wäre. Aber daran kann man sehen, wie klug Politiker Worte einsetzen können, um tatsächlich das Ziel zu erreichen, das sie im Auge haben. Donald Trump ist ja von Anfang an sein eigenes Marketingbüro, das im Grunde nur aus seinen zwei Fingern besteht, mit denen er twittert. Damit hat er wahnsinnig viel erreicht – allein mit Worten.

Die Theorie des Framing besagt, dass, auch wenn man Begriffe in indirekter Rede wiedergibt – auch in Anführungszeichen oder mit einem “sogenannt” davor – trotzdem im Kopf die dazugehörigen Frames bzw. Bezugsrahmen aktiviert werden. Wie kann denn eine Nachrichtensendung damit umgehen und über etwas berichten, ohne dabei wie zum Beispiel bei Trump dessen Worte zu wiederholen und damit dessen Bilder bei allen, die zuschauen, hervorzurufen?

Wir können es nur immer wieder dechiffrieren oder darauf hinweisen, dass das Worte sind, die eingesetzt werden, um ein bestimmtes Framing in die Welt zu schicken. Es begegnet einem ständig und überall. Allein das Wort “Grenzschutz”: Alle europäischen Politiker sprechen davon, die europäische Grenze sichern und schützen zu wollen. Und das ist natürlich etwas sehr Positives: Europa schützen. Man könnte aber auch aus Sicht derer, die nach Europa kommen wollen, sagen: Das ist kein Schutz, das ist eine Festung, das ist ein Hochsicherheitstrakt. Und so verhält es sich ganz häufig. Da sensibel zu sein und aufzupassen und so viel wie möglich in eigenen Worten zu beschreiben, das ist eigentlich unsere wichtigste Aufgabe. Weil Framing eben tatsächlich etwas Unbewusstes ist, das sich jeden Tag aufs Neue ereignet.

Das Interview erschien ursprüngliche am 10. September 2019 auf der (mittlerweile eingestellten) BR Kultur Website vom Bayerischen Rundfunk.

Es wurde bereits am 09. August 2019 geführt für die Nachtstudio-Sendung “Framing und die Macht der Sprache: Wie stark leiten Begriffe unser Denken und Handeln?” auf Bayern 2. Dafür habe ich auch mit Sören Landmann gesprochen, Mit-Initiator der Intiative für die “Ehe für alle”, sowie mit dem Linguisten Bertram Scheufele und dem Blogger und Linguisten Martin Haase. Die Sendung gibt es auch als Podcast.

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